Eine Krebsdiagnose stellt das ganze Leben auf den Kopf. In dieser Zeit voller Ängste und Sorgen bleibt oft wenig Raum wahrzunehmen, wie sich die Bindung in einer Ehe oder Partnerschaft verändert, wenn einer der Liebenden von Krebs betroffen ist.
Kannst du beim ersten Lesen dieser Zeilen ein ungutes Gefühl wahrnehmen? Das ist ein gutes Zeichen, denn es bedeutet, dass du mit diesem Thema in Resonanz gehst und dass dieser Artikel dir vielleicht positive Impulse bieten kann, wie du aus der subjektiven Bewertung deiner Situation kurzweilig in eine sanfte Beobachterrolle geraten und deine Reaktion womöglich wohlwollend verändern kannst.
Du wirst von mir zwei Fragen an die Hand bekommen, die du mit auf deinen weiteren Weg nehmen kannst. Du musst die Fragen nicht sofort für dich beantworten, sondern du darfst erst einmal wahrnehmen, was diese in dir auslösen.
1. Welche Rolle habe ich in unserer Beziehung und wie will ich diese ausleben?
Als Partner*in: Womöglich fühlst du dich in der Rolle als Partner*in zutiefst hilflos, die oder den Betroffenen tagtäglich in Leid und Schmerz zu sehen. Oder du fühlst dich überfordert, die Aufs und Abs eines Krankheitsverlaufs und die damit einhergehenden physischen und psychischen Herausforderungen mitzubegleiten. Je nachdem, wie eure Verbindung vor der Diagnose war, kommt nun eine neue Rolle auf dich zu. Wir haben meist immer die Wahl, welche Rollen wir in unserem Leben ausfüllen möchten und wie wir das tun wollen. Die Diagnose einer Krebserkrankung geht oft mit einer tiefen Hilflosigkeit und Ohnmacht für alle Beteiligten der Lebenswelt der/des Erkrankten einher. Du hast dir insofern deine neue Rolle nicht eigenmächtig ausgesucht und fühlst dich daher auch nicht sicher, wie du dich nun richtig verhältst. Oder es fällt dir unglaublich schwer, diese neue Situation anzunehmen und dich begleitet eine tiefe Traurigkeit. Sich Zeit für sich selbst oder geliebte Tätigkeiten einzuräumen, scheint für dich undenkbar und selbstbezogen? Womöglich hast du sogar das Gefühl, die Krankheit füllt auch dein ganzes Sein aus?
Ich habe eine gute Nachricht für dich: du kannst immer und zu jeder Zeit deine Rolle neu definieren und anpassen! Es gibt kein Muss und auch kein Richtig oder Falsch, wie du mit dieser neuen Situation umgehst und welche Verantwortungen du übernimmst. Es liegt einzig und alleine an dir, wie du deine neue Rolle leben möchtest! Sprich offen mit deiner Partnerin/deinem Partner über deine Wünsche und Vorstellungen, wie eure Beziehung in Zukunft aussehen könnte.
Wonach sehnst du dich? Was überfordert dich absolut und wobei brauchst du Hilfe? Ist es denkbar, dass du weitere Unterstützung in Form einer Selbsthilfegruppe für Angehörige oder der Aufnahme einer professionellen (Gesprächs-)Therapie in Anspruch nimmst? Überlegt gemeinsam, was sich in eurem Alltag ändert. Was kann der/die kranke Partner*in im Moment nicht mehr allein, wobei braucht er/sie Hilfe. Vielleicht sind andere Menschen in eurem Umfeld, die zum Beispiel Einkäufe oder Beantragungswege gerne für euch übernehmen. Überdenke im eigenen Tempo, welche Möglichkeiten ihr habt und wie sich Abläufe verändern lassen. Räume dir Zeit fürs Nichtstun und für dich selbst ein, deine Partnerin/dein Partner wird es dir danken, auch wenn es dir anfangs befremdlich erscheinen mag. Mache dir die neuen Gegebenheiten in deinem Leben zu Eigen und spüre genau ab, was sich für dich am besten anfühlt. Alle Erfahrungen sind hier wertvoll, es gibt keine Fehler in einem Prozess. Denke immer daran: Nur wenn du selbst gut für dich sorgst und in deiner eigenen Kraft bist, kannst du deinem Partner/deiner Partnerin oder der Situation genügend Unterstützung schenken.
Als Erkrankte*r: Du hast vielleicht in der Rolle des/der Erkrankten ein dauerhaft schlechtes Gewissen, was die neuen Herausforderungen und Verantwortlichkeiten in deinem Leben auch für deine Partnerin/deinen Partner bedeuten mögen. Dazu kommt, dass du den Eindruck hast, dass deine Partnerin/dein Partner sehr viel trägt und sich somit eine ungleiche „Hilfe-Hilfebedüftige*r“- Situation zwischen euch einstellt. Du hast mit der Krankheit in deinem Leben nun eine völlig neue Situation, die dich vor ungeahnte Schwierigkeiten und Hindernisse stellt. Allerdings hast auch nur du allein es in der Hand, inwiefern die Krankheit eure Partnerschaft definiert. Diese Sicherheit ist dir gegeben, neben all den Unsicherheiten und Ängsten, die dich derzeit begleiten.
Spüre einmal in dich hinein: Kannst du die Hilfe und Unterstützungsleistung deiner Partnerin/deines Partners oder deiner übrigen Mitmenschen dankend annehmen? Wenn nein, was hindert dich daran, Hilfe zu erbitten und diese auch zu bekommen? Ist es die Selbstverständlichkeit, die mit einer Partnerschaft scheinbar unausgesprochen einhergeht? Sprich mit deiner Partnerin/deinem Partner darüber und frage nach, wie sie oder er sich mit der Situation fühlt. Nimm achtsam wahr, was du dir für dich und euch perspektivisch wünschst: Einen festen Abend in der Woche, nur für euch beide?
Ein ganz besonderes Essen? Neben deiner neuen Rolle als Hilfe-Annehmende*r dreht sich dein Gedankenkarussell vermutlich unentwegt. Du fühlst dich vielleicht sowohl körperlich als auch mental schwächer und hast das Gefühl, deine Partnerin/dein Partner und du schwimmen nicht mehr auf derselben Schwimmbahn.
Gib euch beiden Raum, das Becken einmal zu verlassen und es von oben zu betrachten, bevor du erneut hineinspringst. Gibt es etwas, wobei du deinen Partner*in regelmäßig unterstützen kannst, ohne dass es dir Energie für deinen eigenen Genesungsprozess raubt? Fühle einmal in dich hinein, welche Bereiche eures gemeinsamen Lebens es sind, in denen du in deine sanfte Schöpferkraft kommen kannst und deinem Partner Unterstützung anbieten kannst. Wenn es sich für dich stimmig anfühlt, spring erneut ins Wasser und schaue, auf welcher Bahn du landest. Auch hier gilt: Es gibt keine Fehler, jede Erfahrung ist wichtig und wertvoll zugleich! Yoga und Meditation können wertvolle Begleiter sein, wenn es darum geht, in uns hineinzuspüren, was jetzt gut tut, welche Bedürfnisse wir im Moment haben und wie wir dafür neue kreative Lösungen finden können. Auch eine gemeinsame Yogastunde kann ein wertvoller neuer Impuls sein. Viele Yogalehrer*innen bieten Einzelcoachings auch für Paare an.
2. Hast du Angst und äußerst du diese offen?
Die Annahme, dass wir unsere Gefühle unterdrücken sollten und gerade Traurigkeit nicht offen leben dürfen, ist nicht von Selbstliebe geprägt. Doch vielleicht ist gerade das Gegenteil der Fall: Unsere Verletzlichkeit durch unsere persönlichen Schicksale ist es, die uns authentisch und wahrhaftig werden lässt. Stelle dir einmal eine Welt vor, in der jeder zu jeder erdenklichen Zeit an jedem erdenklichen Ort einfach seine wirklichen Emotionen zeigen würde.
Na, wie fühlt sich das an? Noch befremdlich? Vielleicht, denn unsere Glaubenssätze vermitteln uns den Eindruck, wir müssen „stark“ sein, für uns und andere. Doch wir haben die Kraft, unsere Glaubenssätze jederzeit zu transformieren! Erinnerst du dich noch an das letzte Mal, als du geweint hast? Wie hast du dich danach gefühlt? Befreit? Geerdet? Das ist wundervoll! Denn unsere Tränen sind der Regulator für unsere Gefühle. Sie wirken im wahrsten Sinne des Wortes reinigend. Dies ist ebenso wichtig wie regelmäßiger Kontakt zu liebevollen und mitfühlenden Menschen in unserem Familien- und Freundeskreis Übertrage das Beispiel nun auf deine Partnerschaft unter den derzeitigen Bedingungen. Vermutlich hast du Angst?! Du bist dazu eingeladen, deiner Angst einen individuellen Raum und eine Form zu geben, denn Sie will gesehen und nicht unterdrückt werden. Teile deine Ängste und Sorgen mit deiner Partnerin/deinem Partner und nutze achtsame, möglichst wertfreie Worte für das, was du wahrnimmst, bevor du mit ihm oder ihr darüber sprichst.
Ich würde mich freuen, wenn dir dieser Artikel neue Impulse für eine liebevolle Betrachtung deiner derzeitigen Situation geben kann.
Gaby Nele Kammler